EILMELDUNG zum ELTERNUNTERHALT
Rechtsstreit vor dem Amtsgericht München 554 F 1833/23
Durchbruch beim Elternunterhalt.
Massive Erhöhung des Selbstbehalts auf 5.000 €.
Dadurch gerechtere Entlastung der Besserverdiener mit Einkommen über 100.000 € brutto/Jahr.
In einem von uns geführten Rechtsstreit vor dem Amtsgericht München, 554 F 1833/23, konnten wir erfolgreich die geltend gemachten Ansprüche auf Elternunterhalt eines Sozialhilfeträgers gegen unseren Mandanten abwehren, mit dem maßgeblichen Argument, dass der Selbstbehalt unseres Mandanten unzutreffend angesetzt wurde.
Unser Mandant wurde vom Sozialhilfeträger verklagt auf rückständigen Elternunterhalt von 11.517 €, sowie Auskunft über den Bestand und Höhe seines Vermögens und sämtlicher Immobilien.
Auf unsere Argumentation hat das Amtsgericht München wie folgt entschieden (auszugsweise Wiedergabe der relevanten Entscheidungsgründe):
1. Der Antragsteller hat gegen den Antragsgegner keinen Anspruch auf Zahlung von Elternunterhalt gemäß § 1601 ff. BGB, 94 Abs. 1 SGB XII aus Einkommen.
Zwar kann der Antragsteller – vorbehaltlich einer etwaigen Verwirkung, die allerdings einen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach bestehenden Unterhaltsanspruch voraussetzt – im vorliegenden Fall Unterhalt für die Vergangenheit ab erfolgter Rechtswahrungsanzeige vom 10.07.2017 verlangen, die Sonderregelung des § 94 Abs. 4 Satz 1 SGB XII geht insoweit der Vorschrift des § 1613 BGB vor, jedoch ist der Antragsgegner nicht leistungsfähig hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Elternunterhalt.
Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob der Antragsteller Sozialleistungen in entsprechender Höhe für die Mutter des Antragsgegners tatsächlich erbracht hat, da sich selbst bei Zugrundelegung des antragstellerseits vorgetragenen, gemäß § 94 SGB XVII auf den Antragsteller übergegangenen Unterhaltsanspruchs der Mutter des Antragsgegners nach § 1601 ff. BGB in Höhe von durchschnittlich 3.570,00 Euro monatlich, ein Unterhaltsanspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner nicht errechnet.
Das der Unterhaltsberechnung zugrundezulegende Einkommen des Antragsgegners sowie die im Rahmen der Bereinigung des Nettoeinkommens vorzunehmenden Abzüge sind zwischen den Beteiligten weitestgehend unstreitig. Streitig ist allein die Frage, ob im Rahmen der zusätzlichen Altersvorsorge die weiteren Aufwendungen des Antragsgegners für eine Sparrate von 450 € monatlich abzugsfähig sind. Auch diese Frage kann vorliegend dahinstehen, da sich auch ohne Berücksichtigung dieses weiteren Abzugspostens eine Leistungsunfähigkeit des Antragsgegners ergibt. Gleiches gilt für die geringfügige Abweichung hinsichtlich des im Jahre 2020 zu berücksichtigenden monatlichen Beitrags zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Entscheidungserheblich war auf der Basis des unstreitigen Zahlenmaterials vorliegend allein dieFrage, in welcher Höhe ein Selbstbehalt des Antragsgegners im Rahmen des geltend gemachten Elternunterhalts zu berücksichtigen ist. Durch das Angehörigenentlastungsgesetzes vom 10.12.2019 wurde der Übergang des Anspruchs auf Elternunterhalt nach § 1601 ff BGB auf den Träger der Sozialhilfe grundlegend neu geregelt und findet nunmehr nur noch dann statt, wenn das Einkommen des Unterhaltspflichtigen die Jahresobergrenze von 100.000 € brutto übersteigt, § 91 Absatz 1a SGB XII i. V. M. § 16 SGB IV. Die Entscheidung des Gesetzgebers, nur noch leistungsstarke Kinder zur Finanzierung des Elternunterhalts in Anspruch zu nehmen, kann nicht ohne Einfluss auf die Frage der Bemessung des Selbstbehalts und damit der Leistungsfähigkeit in derartigen Fällen sein.
Entsprechend geben die SüdL unter Ziffer 21.3.3 nunmehr nur noch folgendes vor: Bei der Bemessung des Selbstbehalts gegenüber Eltern sind Zweck und Rechtsgedanken des Gesetzes zur Entlastung unterhaltspflichtiger Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigenentlastungsgesetz) vom 10. Dezember 2019 (BGBl S. 2135) zu beachten. Unter Berücksichtigung von Zweck und Rechtsgedanken des Angehörigenentlastungsgesetzes hält das Gericht vorliegend einen Selbstbehalt in Höhe von 5.000,00 € für angemessen. Dies gründet sich im wesentlichen auf folgenden Überlegungen:
Die Annahme einer unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit bereits ab einem bereinigten Einkommen des Unterhaltspflichtigen von mehr als 2.000,00 € (zuzüglich ggf. der einen Betrag von 700,00 € übersteigenden Mietkosten) würde in keiner Weise mit den Zielen der Gesetzesreform harmonieren und zu erheblichen innerfamiliären Verwerfungen führen. Es widerspricht dem Ziel der Gesetzesreform, Kinder von der Inanspruchnahme durch den Sozialleistungsträger wegen übergegangener Ansprüche auf Elternunterhalt zu entlasten und für den Elternunterhalt nur noch besonders leistungsfähige Kinder heranzuziehen, wenn die Leistungsfähigkeit dieser grundsätzlich in Anspruch zu nehmenden Kinder so bemessen wird, dass diese im Ergebnis wirtschaftlich schlechter stehen als von vornherein weniger leistungsfähige Kinder. Ersichtliches Ziel des Gesetzgebers ist es, (nur) besonders hohe Einkommen über 100.000,00 € brutto/Jahr „abzuschöpfen“ und zur Finanzierung des Elternunterhalts heranzuziehen, so dass sich eine im Ergebnis der Unterhaltsverpflichtung eintretende wirtschaftliche Schlechterstellung der in Anspruch genommen Kinder gegenüber ihren weniger leistungsfähigen und deshalb zur Unterhaltsleistung von vornherein nicht heranzuziehenden Geschwistern verbietet.
Es wäre schlicht nicht nachvollziehbar, wenn von zwei Kindern mit um wenige Euro unterschiedlichen Bruttoeinkommen knapp unterhalb und knapp oberhalb der Grenze von 100.000,00 € ein Kind für über 900 € Unterhalt leistungsfähig wäre und in Anspruch genommen würde, während das Geschwisterkind mit einem Einkommen knapp unterhalb der Grenze des § 94 Abs. 1a SGB XII keinen Unterhalt zahlen müsste. Ein derartiges Ergebnis dürfte zu massiven innerfamiliären Spannungen und Konflikten führen und als Ergebnis staatlicher Gesetzgebung bereits im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz, wonach die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung steht, problematisch sein.
Allerdings ist dem Angehörigenentlastungsgesetz auch nicht direkt zu entnehmen, dass lediglich das 100.000,00 € übersteigende Einkommen eines Unterhaltspflichtigen für die Unterhaltsbemessung zugrundezulegen ist; dem widerspricht der eindeutige Gesetzeswortlaut, der lediglich die Grenze für einen Übergang der Unterhaltsansprüche auf den Sozialleistungsträger regelt, aber keine Aussage zur Bemessung des Unterhaltsanspruchs selbst trifft.
Das Ziel des Gesetzgebers kann deshalb nur erreicht werden, wenn der im Rahmen der nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts vorzunehmenden Unterhaltsberechnung zu berücksichtigende Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen auf einen Betrag erhöht wird, der dem mit einem Gesamtbruttoeinkommen von 100.000 € erzielbaren durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen entspricht. Bei einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 € ergibt sich ein jährliches Nettoeinkommen von ca. 58.000 €. Hierauf basierend erscheint ein gerundeter Selbstbehalt in Höhe von 5.000,00 € monatlich angemessen.
Eine Erhöhung dieses Selbstbehalts wegen übersteigender Wohnkosten kann dann allerdings nur noch erfolgen, wenn die angemessenen Wohnkosten einen entsprechend der Erhöhung des Selbstbehalts erhöhten Betrag übersteigen. Im vorliegenden Fall kann die Frage, ob eine weitere Erhöhung des Selbstbehalts wegen übersteigender Wohnkosten vorzunehmen ist, dahinstehen, da sich bereits unter Anwendung des nicht erhöhten Selbstbehalts von 5.000,00 Euro Leistungsunfähigkeit ergibt.
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen ergeben sich die folgenden Unterhaltsberechnungen für die Jahre 2020 und 2021
Unterhaltsjahr: 2020
Nettoeinkommen Antragsgegner: 6.113,71 Euro
davon aus Erwerbstätigkeit: 6.020,89 Euro
abzüglich pauschaler berufsbedingter Aufwendungen: – 301,04 Euro
insgesamt: 5.812,67 Euro
abzüglich Schulden, Belastungen
Kranken- und Pflegeversicherung: 465,10 Euro
zusätzliche Altersvorsorge gesamt: 872,92 Euro
insgesamt: 1.338,02 Euro
unterhaltsrechtliches Einkommen: 4.474,65 Euro
Der angemessene Selbstbehalt weicht vom Regelfall ab und wird auf 5.000,00 Euro festgelegt.
bedürftige Eltern: Mutter
Bedarf der Mutter durchschnittlich: 3.570,00 Euro
Einkommen der: 0,00 Euro
Berechnung des Elternunterhalts
Selbstbehalt des Pflichtigen: 5.000,00 Euro
Beklagter ist leistungsfähig in Höhe von: (4.474,65 – 5.000) : 2 = 0,00 Euro
Beklagter schuldet keinen Elternunterhalt aus Einkommen.
Unterhaltsjahr 2021
(hier erfolgt eine ähnliche Berechnung, weswegen von der Wiedergabe abgesehen wird)
2. Der Antragsgegner ist dem Antragsteller auch nicht zur Erteilung der geforderten Auskunft über sein Vermögen und nicht zur Vorlage der geforderten Belege gemäß §§ 1605 Abs. 1 BGB, 94 SGB XII verpflichtet.
Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Auskunft über das Vermögen des Antragsgegners sind antragstellerseits nicht schlüssig vorgetragen worden. Der Vortrag des Antragstellers, dass der Bedarf der Mutter des Antragsgegners durch die kumulierten, aus den Einkommen der drei unterhaltsverpflichteten Kinder vom Antragsteller errechneten Unterhaltsbeiträge der Kinder nicht gedeckt werde und der Antragsgegner deshalb zur Unterhaltsleistung aus seinem Vermögensstamm verpflichtet sei, ist hierfür nicht ausreichend.
Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 1605 BGB kann Auskunft zum Einkommen und Vermögen nur verlangt werden, soweit dies zur Feststellung eines Unterhaltsanspruchs oder einer Unterhaltsverpflichtung erforderlich ist. Nachdem Unterhalt grundsätzlich aus dem laufenden Einkommen des Unterhaltsverpflichteten geschuldet ist, besteht die Verpflichtung zur Erteilung einer Auskunft über das Vermögen, d.h. den Vermögensstamm, dabei zum Schutz der Persönlichkeitsrechte und Geheimhaltungsinteressen des Unterhaltsverpflichteten nur unter bestimmten, vom Auskunftsberechtigten substantiiert vorzutragenden Voraussetzungen. Eine Auskunft zum Vermögen ist nur dann geschuldet, wenn entweder seitens des Unterhaltsberechtigten begründete Zweifel an der zu den Vermögenseinkünften erteilten Auskunft des Unterhaltsverpflichteten bestehen oder wenn ausnahmsweise der Vermögensstamm zur Unterhaltsleistung heranzuziehen wäre. Zu den Voraussetzungen einer Auskunftspflicht über das Vermögen, insbesondere aber der Verpflichtung des Auskunftsverpflichteten, ausnahmsweise für den Unterhalt auch seinen Vermögensstamm einzusetzen, hat der Auskunftsberechtigte ausreichenden Vortrag zu geben.
Eine Auskunft über das Vermögen kann zwar grundsätzlich dann gefordert werden, wenn das Einkommen des Unterhaltsverpflichteten nicht zur Bedarfsdeckung ausreicht, allerdings sind in diesem Fall antragstellerseits ausreichende Anhaltspunkte dafür vorzutragen, dass beim Antragsgegner zunächst überhaupt ein zur Unterhaltsleistung heranzuziehender Vermögensstamm vorhanden ist sowie – ggf. – dass dieser nicht in pflichtgemäßer Weise zur Erzielung von Einkünften genutzt wird.
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller seinen Unterhaltsanspruch aus dem Einkommen des Antragsgegners abschließend beziffert, worauf antragsgegnerseits zutreffend hingewiesen wur der antragstellerseits vorgenommenen Unterhaltsberechnung wurde dabei Einkommen des Antragsgegners aus nichtselbständiger Tätigkeit und aus Steuererstattung zugrunde gelegt. Einkommen des Antragsgegners aus Vermögenseinkünften (Kapitalerträge, Vermietung/ Verpachtung etc.) wurde hingegen nicht vorgetragen. Wenn aber nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers kein Einkommen des Antragsgegners aus Vermögenseinkünften besteht, kann nicht ohne weitere Begründung Auskunft über das gesamte Vermögen des Antragsgegners verlangt werden.
Entsprechendes gilt im Übrigen, soweit aus der Antragsschrift ersichtlich, für die zur Bestimmung der Gesamtleistungsfähigkeit der Kinder der Mutter ermittelten Einkünfte der Geschwister des Antragsgegners. Vortrag dazu, weshalb trotz fehlender Vermögenseinkünfte beim Antragsgegner ein ggf. zur Unterhaltsleistung einzusetzender Vermögensstamm vorhanden sei, ist trotz Hinweis auf die Unschlüssigkeit des Sachvortrags zum Auskunftsanspruch über das Vermögen durch den Antragsgegner antragstellerseits nicht erfolgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 Satz 1 und 2 Nr. 1 FamFG.
Abweichend von den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Kostenentscheidung entscheidet das Gericht in Unterhaltssachen nach billigem Ermessen über die Verteilung der Kosten des Verfahrens auf die Beteiligten. Vorliegend ist hierbei insbesondere das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten einschließlich der Dauer der Unterhaltsverpflichtung zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall ist der Antragsteller vollumfänglich unterlegen, so dass ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen waren.