Geltendmachung von Baumängeln am Gemeinschaftseigentum einer Wohnungseigentumsanlage
Die Geltendmachung von Baumängeln am Gemeinschaftseigentum einer Wohnungseigentumsanlage ist ein komplexes Thema, das einige rechtliche Besonderheiten aufweist. Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte erläutert.
1. Zuständigkeit für die Geltendmachung von Mängelrechten
Die zentrale Frage bei der Geltendmachung von Baumängeln am Gemeinschaftseigentum ist, wer dafür zuständig ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 23. Februar 2024 (Az. V ZR 132/23) wichtige Klarstellungen getroffen:
- Die Beschlusskompetenz zur Vergemeinschaftung der Mängelrechte liegt allein bei der Gesamt-Wohnungseigentümergemeinschaft (Gesamt-WEG).
- Untergemeinschaften, auch wenn sie in der Teilungserklärung vorgesehen sind, haben keine Kompetenz zur Geltendmachung von Mängelrechten am Gemeinschaftseigentum.
Der BGH stützt seine Entscheidung dabei auf folgende Argumente:
- Die ordnungsgemäße Verwaltung erfordert die Bildung eines gemeinschaftlichen Willens über das Vorgehen zur Herstellung des Gemeinschaftseigentums.
- Nur so können Ansprüche effektiv durchgesetzt werden.
- Es verhindert, dass der Veräußerer (z.B. Bauträger) unterschiedlichen, möglicherweise nicht durchsetzbaren Ansprüchen ausgesetzt wird.
- Bei Mehrhausanlagen wird vermieden, dass Untergemeinschaften wegen des gleichen Sachmangels an verschiedenen Gebäuden unterschiedliche Ansprüche geltend machen.
- Die Geltendmachung von Baumängeln am Gemeinschaftseigentum erfordert ein koordiniertes Vorgehen der Wohnungseigentümergemeinschaft. Die klare Zuständigkeit der Gesamt-WEG, wie sie vom BGH bestätigt wurde, schafft Rechtssicherheit und ermöglicht ein effektives Vorgehen gegen Baumängel.
2. Verfahren zur Geltendmachung von Mängelrechten
- Beschlussfassung: Die Gesamt-WEG muss einen Beschluss fassen, um die Ausübung der Mängelrechte am Gemeinschaftseigentum an sich zu ziehen.
- Prozessführung: Nach der Vergemeinschaftung kann die Gesamt-WEG Klage gegen den Bauträger erheben, z.B. auf Zahlung eines Vorschusses zur Mängelbeseitigung.
- Finanzierung: Die Gesamt-WEG kann auch über die Finanzierung der Prozessführung entscheiden, etwa durch Erhebung einer Sonderumlage.
3. Rechte des einzelnen Wohnungseigentümers
Solange die Gesamt-WEG die Mängelrechte nicht an sich gezogen hat, kann der einzelne Eigentümer grundsätzlich noch selbst Ansprüche geltend machen. Dabei ist zu unterscheiden:
- Primäre Mängelrechte (Nacherfüllung, Selbstvornahme, Kostenvorschuss): Können vom einzelnen Eigentümer geltend gemacht werden.
- Sekundäre Mängelrechte (Minderung, Schadensersatz): Können nur von allen Wohnungseigentümern gemeinsam geltend gemacht werden.
4. Praktische Hinweise
- Frühzeitige Abstimmung: Wohnungseigentümer sollten bei Feststellung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum frühzeitig die Verwaltung und die anderen Eigentümer informieren.
- Dokumentation: Mängel sollten sorgfältig dokumentiert werden, um eine fundierte Grundlage für Beschlüsse und eventuelle rechtliche Schritte zu haben.
- Fristwahrung: Gewährleistungsfristen müssen beachtet werden, um Ansprüche nicht zu verlieren.
- Sachverständigengutachten: In komplexen Fällen kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens sinnvoll sein, um Art und Umfang der Mängel genau zu bestimmen.
5. Welche Schritte sind notwendig, um Baumängel am Gemeinschaftseigentum zu geltend machen
a) Feststellung und Dokumentation der Mängel
- Mängel am Gemeinschaftseigentum sorgfältig dokumentieren, z.B. durch Fotos und schriftliche Beschreibungen.
- Bei komplexen Fällen kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens sinnvoll sein.
b) Information der Eigentümergemeinschaft
- Verwaltung und andere Eigentümer frühzeitig über festgestellte Mängel informieren.
- Thema auf die Tagesordnung der nächsten Eigentümerversammlung setzen lassen.
c) Beschlussfassung der Wohnungseigentümergemeinschaft
- Die Gesamt-Wohnungseigentümergemeinschaft (Gesamt-WEG) muss einen Beschluss fassen, um die Ausübung der Mängelrechte am Gemeinschaftseigentum an sich zu ziehen.
- Dieser Beschluss ist notwendig, da nur die Gesamt-WEG die Kompetenz hat, gemeinschaftsbezogene Ansprüche geltend zu machen.
d) Beauftragung eines Rechtsanwalts
- Es empfiehlt sich, einen auf Wohnungseigentumsrecht spezialisierten Rechtsanwalt zu beauftragen.
- Der Anwalt kann die rechtliche Situation prüfen und die weiteren Schritte koordinieren.
e) Aufforderung zur Mängelbeseitigung
- Der Bauträger wird schriftlich zur Beseitigung der Mängel aufgefordert.
- Dabei wird eine angemessene Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt.
f) Geltendmachung von Ansprüchen
Nach Ablauf der Frist kann die Gesamt-WEG folgende Ansprüche geltend machen:
- Nacherfüllung (Mängelbeseitigung oder Neuherstellung)
- Kostenvorschuss für die Mängelbeseitigung
- Minderung des Kaufpreises
- Schadensersatz
g) Gerichtliche Durchsetzung
- Sollte der Bauträger nicht kooperieren, kann die Gesamt-WEG Klage erheben.
- Die Finanzierung der Prozessführung kann durch eine Sonderumlage beschlossen werden.
h) Wichtige Hinweise
- Einzelne Eigentümer können grundsätzlich nur die Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum verlangen, nicht aber Schadensersatz oder Minderung.
- Die Geltendmachung von Minderung und kleinem Schadensersatz ist ausschließlich der Wohnungseigentümergemeinschaft vorbehalten.
- Gewährleistungsfristen müssen beachtet werden, um Ansprüche nicht zu verlieren.
6. Frist zur Geltendmachung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum
a) Gewährleistungsfrist
- Die grundsätzliche Gewährleistungsfrist für Mängel am Gemeinschaftseigentum beträgt 5 Jahre. Diese Frist beginnt mit der Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch die Wohnungseigentümer zu laufen.
- Versetzte Abnahmen: Bei großen Wohnanlagen können die Abnahmen durch die einzelnen Eigentümer zeitversetzt stattfinden. In diesem Fall beginnen die Gewährleistungsfristen für das Gemeinschaftseigentum entsprechend zeitversetzt zu laufen.
- Verlängerte Haftung: Solange auch nur bei einem Eigentümer die Gewährleistung noch läuft, können Baufehler am Gemeinschaftseigentum gegenüber dem Bauträger geltend gemacht werden.
- Die 5-Jahres-Frist kann vertraglich nicht wirksam verkürzt werden. Entsprechende Klauseln im Kaufvertrag sind unwirksam.
- Bei gebrauchten Eigentumswohnungen können besondere Regelungen im Kaufvertrag getroffen werden. Diese müssen jedoch klar und eindeutig formuliert sein, um wirksam zu sein.
b) Vorgehen bei Fristablauf
- Auch nach Ablauf der regulären Gewährleistungsfrist kann in bestimmten Fällen noch eine Haftung des Bauträgers bestehen. Insbesondere bei Arglist des Verkäufers verlängert sich die Verjährungsfrist.
7. Häufige Mängel am Gemeinschaftseigentum
- Fassadenschäden
Risse oder Abplatzungen in der Außenfassade
Mangelhafte Außendämmung, die zu Wärmebrücken führt
- Dachprobleme
Undichtigkeiten im Dach, die zu Wassereintritt führen können
Fehlerhafte Dachabdichtungen oder -entwässerung
- Feuchtigkeitsschäden
Durchfeuchtungen in Kellerräumen oder Tiefgaragen
Schimmelbildung aufgrund von Baumängeln
- Mängel an Versorgungsleitungen
Defekte oder veraltete Wasser- und Abwasserleitungen
Probleme mit der elektrischen Installation in Gemeinschaftsbereichen
- Heizungsanlagen
Ineffiziente oder veraltete zentrale Heizungssysteme
Mängel an Wärmeverteilsystemen
- Aufzugsmängel
Störanfällige oder nicht den aktuellen Sicherheitsstandards entsprechende Aufzüge
- Brandschutzmängel
Defekte oder fehlende Brandschutztüren
Unzureichende Brandschutzmaßnahmen in Treppenhäusern oder Fluren
- Statische Probleme
Risse in tragenden Wänden oder Decken
Setzungsschäden am Fundament
- Fenster und Türen im Gemeinschaftsbereich
Undichte oder schlecht isolierte Fenster in Treppenhäusern oder Gemeinschaftsräumen
Mängel an Hauseingangstüren oder Zugangssystemen
- Balkone und Terrassen
Undichte Balkonabdichtungen oder -anschlüsse
Schäden an Balkongeländern oder -böden
Diese Mängel können erhebliche Auswirkungen auf die Wohnqualität und den Werterhalt der gesamten Wohnanlage haben. Es ist wichtig, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft solche Mängel frühzeitig erkennt und angemessen darauf reagiert, um größere Schäden und kostspielige Reparaturen zu vermeiden.